Mit ‘Grappa’ getaggte Beiträge

STURM – Teil IV / Leseprobe

Veröffentlicht: 25. August 2014 in STURM
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Der Regen peitscht mir ins Gesicht, als ich meine tägliche Pflichtrunde am Strand gehe und meine Augen sind so voll Wasser, dass alles hinter einem grauen Schleier verschwindet. Wie immer, ist der alte Mann an der Mole und hält stoisch seine Angel ins Meer und wirkt, als sei er eingeschlafen. Der Sand ist nur noch Matsch und ich sinke bei jedem Schritt so tief ein, dass ich Mühe habe, vorwärts zu kommen. Die Treibholzfelder sind endlos und ich klettere über große Stämme und versuche, nicht auf die vielen toten Fische zu treten, die überall angespült liegen. Ein riesige Ratte liegt mit zerfetztem Körper inmitten der Kadaver und starrt mich aus milchigen Augen an und mir wird immer kälter und für einen Moment verliere ich den Halt und bekomme Panik, weil ich denke, in den Haufen Fische zu stolpern, und ich habe endlich genug und verlasse den Strand in Richtung Straße.
Der Wind bläst eiskalt durch die Häuserzeilen und treibt Laub und Abfall vor sich her. Ich versuche, mich ganz in meiner Jacke zu verkriechen, und halte mich dicht an den Hauswänden, die so vermoost sind und so modrig riechen, dass ich wieder an die tote Ratte denken muss. Die meisten Geschäfte haben im Winter ihre Schaufenster mit Brettern vernagelt und ich denke einen Moment, ich bin in einem falschen Ort gelandet und finde nicht mehr zurück.
Die Dämmerung kommt schlagartig, wie üblich je weiter südlich man sich befindet, und der Wind nimmt wieder zu und wird wohl in dieser Nacht einen weiteren Sturm gebären.
Die Bar, die am Ende der Straße, dort wo die Piazza beginnt, auftaucht, ist nur schwach beleuchtet und im Dunst des aufkommenden Abends umgibt sie ein Schein wie in Milch getauchten Lichts.
Ich werfe mich gegen die Türe und zwänge mich durch den kleinen Spalt ins Innere. Die wenigen Gäste blicken nur kurz auf und sehen dann wieder in ihre Getränke und Zeitungen. Der Wirt hat die Räume so überheizt, dass mir kurz übel wird und ich hastig den Reißverschluss meiner Jacke öffne und mir die Mütze vom Kopf reiße.
Ich bestelle Espresso und Grappa und als der Alkohol durch mich fließt und das Koffein die Nebel vor meinen Augen zerreißt, denke ich, dass das gut ist und bestelle eine weitere Runde. Hier in diesem abgelegenen Kaff schert sich niemand um Verbote und der Wirt stellt mir sofort wortlos einen Aschenbecher hin, als ich mir die erste Zigarette anzünde. Der erste Donner kommt fast gleichzeitig mit dem Blitz und lässt die Flaschen und Gläser auf der Bar zittern und der schlagartig einsetzende Regen peitscht so ans Fenster, dass ich beschließe, noch zu bleiben. Ich bestelle einen halben Liter Rotwein und bekomme einen Krug aus Ton, in dem der Wein dunkelrot wie dickes Blut schimmert, und während ich in das Farbenspiel starre, geht wieder die Tür auf und ein Schwall Wasser und kalte Luft quellen in den Raum, und als ich aufsehe, steht sie plötzlich im Raum und blickt sich unsicher um und ihre Haare hängen nass in ihr Gesicht und ihre Lippen sind blau vor Kälte und etwas Wasser läuft über ihre Wange. Sie sieht mich und das Blut schießt ihr ins Gesicht und färbt ihre Backen sofort knallrot ein, und sie lächelt etwas verlegen, und ich starre sie fasziniert an und sie kommt auf meinen Tisch zu.

STURM erscheint 2016 als Roman. Für Updates folgen Sie mir bitte auf Twitter: @PeeterCavendish

Sturm

STURM – TEIL III / Leseprobe

Veröffentlicht: 25. August 2013 in STURM
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Ich wache auf, weil mein Kopf schmerzt und blicke mich benebelt um, ohne mich an irgendetwas erinnern zu können. Ich weiß nicht, warum ich Blutflecken im Bett habe, oder warum eine roséfarbene Bluse über meiner Lampe hängt, oder wieso es nach altem Wein riecht und ich so einen Geschmack im Mund habe wie nach Eisen oder auch nach Blut. Ich taste mich langsam in das kleine Bad und steige unter die Dusche, die ich auf Kalt stelle, und, während mein Kopf noch mehr dröhnt, wird mir schwarz vor Augen, und ich dusche doch lieber heiß und lange und denke an gar nichts, während ich aus dem Fenster aufs Meer blicke, das völlig teilnahmslos vor sich hin schwappt und mir ein wenig das Gefühl in meinem Körper zurückgibt, und das Blut an meinen Genitalien fließt hellrosa in den Ausfluss der Dusche.
Ich lösche die Zigarette, die ich auf dem Klo sitzend geraucht habe, unter dem Wasserhahn und als ich sie in den Abfalleimer werfe und den blutigen Tampon darin sehe, fällt mir der Abend wieder ein und auch, woher die Blutflecken und die Bluse sind und auch dieser Geschmack nach Blut in meinem Mund.
Ich gehe nach unten in die Küche und schwanke in der Hoffnung, dass sie noch da ist und dass sie schon gegangen ist, und die Küche ist leer und ich setze Kaffee auf in der alten zerbeulten Caffettiera, die für mich die einzige Art ist, guten Kaffee zuzubereiten. Ich trinke vier Tassen und rauche und versuche, mich an ihren Namen zu erinnern, und zermartere mir den Kopf, bis mir einfällt, dass ich sie gar nicht nach ihrem Namen gefragt habe und sie vermutlich sowieso nie mehr sehen werde, und ich verbiete mir, darüber traurig zu sein, und verdünne den fünften Kaffee mit Grappa, den mir der alte Mann gebracht hat, den ich am Meer getroffen habe, als er die Fische ausgenommen hat.
Auch auf der Couch ist etwas Blut und ich überlege, welches Kleidungsstück sie sich von mir genommen hat, weil ja die Bluse über der Lampe liegt, und wieso der Tampon oben ist und nicht hier und ob sie ihn in sich hatte, als wir auf der Couch waren, und während ich grüble und noch einen Grappa ohne Kaffee trinke, werde ich so müde, dass ich auf der Couch einschlafe.

STURM erscheint 2016 als Roman. Für Updates folgen Sie mir bitte auf Twitter: @PeeterCavendish