Mit ‘Rum’ getaggte Beiträge

Zu alt dafür

Veröffentlicht: 3. November 2020 in Allgemein
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Ich sitze in diesem Café, wie jeden Tag. Es ist heiß, aber nicht unangenehm. Vom Meer weht eine leichte Brise, die nach Salz und Freiheit duftet. Der Rum in meinem Glas ist dunkelbraun, warm und scharf. Wie alle hier, rauche ich gelegentlich eine Zigarette. Die paar Männer, die bereits jetzt auch hier sind, spielen Katen oder lesen die Zeitung. Es ist ein einfaches Lokal. Eigentlich nur ein Dach aus Stroh oder Bambus, durch die vielen Löcher fällt genug Licht. Die Tische waren alle einmal bunt, jetzt blättert die Farbe von ihnen ab. Die Stühle sind wackelig und die Lehnen biegen sich jedes Mal gefährlich weit nach hinten, wenn man sich anlehnt. Die Bar ist an einer Seite an einer gemauerten Wand. Auch von ihr blättert die Farbe ab, aber die Spiegeleinsätze in den Regalen sind perfekt poliert und die diversen Flaschen brechen das Sonnenlicht wundervoll darin.

Ich werde noch einen Rum bestellen und dann einen Kaffee, diesen starken, brutal schwarzen Kaffee, in dem der Löffel fast steht. Der am Boden der Tasse einen zähen Satz hinterlässt, fast wie Gele. Die Einheimischen löffeln den Satz genussvoll aus, mir ist er zu bitter, aber ich lasse seinen Duft jedes Mal auf mich wirken. Dann werde ich zum Strand fahren, vielleicht ein wenig schwimmen und mir dann gegrillten Fisch kaufen, dazu einen eiskalten Weißwein, den sie hier in den Höhenlagen anbauen und der fast so würzig ist, wie ihr Kaffee. 

Am Nachmittag dann werde ich etwas Schreiben, am neuen Roman. Sicherheitshalber auf der alten Schreibmaschine, weil der Strom zu oft ausfällt und man einem Rechner deswegen nie trauen kann.

Genau so habe ich mir mein Leben vorgestellt, als Schriftsteller, später, wenn ich alt bin. Oh, ich bin langsam alt. Und vor allem bin ich langsam zu alt für diesen Scheiß. In was für einer abartigen Scheiße sind wir gelandet? Früher habe ich gelacht, wenn Menschen sagten, wie kann man in diese Welt noch Kinder setzen, was stimmt mit euch nicht? Selbst mein Vater sagte das als Erstes, als ich ihm mitteilte, dass er Großvater wird. Langsam verstehe ich, was sie damit meinten.

Alleine in den letzten zwei Wochen wurden Menschen auf offener Straße im Namen einer Religion enthauptet, die größte Demokratie der Welt wird von einem Mann geleitet, der den Verstand eines vierjährigen Kindes hat und diese Demokratie lächelnd im Klo runterspült. In Wien laufen Menschen mit Schnellfeuerwaffen herum und schlachten Bürger ab, die nichts getan haben. Dazu ein Virus, der je nach Gusto herauf- oder heruntergespielt wird, wie man es eben gerade brauchen kann. Sind ja schließlich Wahlen, kommendes Jahr. Politiker die Geld und Hilfe versprechen, die nie ausgezahlt wird. Lügen und Morden ist gesellschaftsfähig geworden. Und ganz nebenbei gibt es uns noch nicht mal zu denken, dass knapp zwei Monate Lockdown genügen, unsere gesamte Welt ins Wanken zu bringen. Aber wir haben natürlich eine Antwort darauf: Bleiben wir doch einfach zu Hause und bauen unser Internet noch besser aus, als es ohnehin schon ist. Ach? Ist es nicht? Weil wir so beschissen verwöhnt sind. Wehe, Netflix hängt mal einen Moment. Die Geduld, kurz zu warten, haben wir längst verlernt. Ist halt einfach mal wieder alles Scheiße, weil nichts funktioniert. 

Wir dürfen nicht mehr ins Fitnessstudio? Oje! Wieso gehen wir da eigentlich hin? Ach ja, weil wir uns ja nicht mehr anstrengen müssen, in unseren tollen Leben. Jede Scheiße wird uns an die Tür geliefert, die meisten können nicht mal mehr ein einfaches Gericht selber kochen, und wenn wir tatsächlich mal an der frischen Luft unterwegs sind, setzen wir uns auf ein Fahrrad – mit Elektromotor! Wäre ja noch schöner, selbst zu treten. Das machen wir dann im stickigen Gym, wo wir auf der Stelle treten und auf einen Fernseher starrren, um die Zeit herumzubekommen. Merkt das eigentlich echt keiner?

Meine Spülmaschine war kaputt, nach 21 Jahren. Ja, sie war nicht mehr die beste, aber man muss nicht immer alles gleich wegwerfen. Aber letzte Woche gab sie ihren Geist endgültig auf. Die Installation der neuen hätte 30 Euro gekostet. Dreißig! Das deckt niemals die Kosten des armen Subunternehmers, der das dafür macht. Wegen Corona wird das derzeit aber nicht angeboten. Ich habe sie selbst eingebaut. Ich habe das zuvor noch nie gemacht und ich habe fast einen Tag gebraucht. Die meiste Zeit ging dabei drauf für Nachdenken. Nachdenken, was als Nächstes zu tun ist. Wie ich ein aufgetauchtes Problem löse. Ja. Nachdenken! Wir müssen nicht für jeden Mist sofort Frau Google befragen, Foren besuchen, zum Arzt rennen oder gar wegen ein wenig Unmut Antidepressiva schlucken. Oft genügt es, nachzudenken. Selbst auf eine Lösung zu kommen. Uns selbst zu vertrauen.

Das Schlimme momentan, aus meiner Sicht ist, dass wir nirgends hinkönnen. Es gibt keine Fluchtpunkte, der Virus ist überall. Der Ort, den ich in meinen Gedanken habe, den ich Eingangs beschrieben habe, er ist unerreichbar geworden, momentan. Und dazu kommen Politiker, ohne Eier. Die herumeiern. Keine klare Linie haben. Fast alle Attentäter der jüngsten Zeit waren bekannt, waren vorbestraft, als Gefährder eingestuft. Ein gefundenes Fressen für die Nazi-Wichser von Parteien wie der AFD. Und Verschwörungstheoretikern. Die fangen nämlich all jene auf, die straucheln, keinen Halt mehr haben. 

Solange die nächste Wahl wichtiger ist, als das eigene Ideal, solange die Lobby einiger weniger Branchen mehr zählt, als die Menschen an sich, solange wie hier bei uns Ministerpräsidenten nur ihre Schwanzlänge vergleichen, statt gemeinsam etwas zu bewegen, wird sich wenig ändern.

Da werden Milliarden Euro in große Konzerne gesteckt, deren Vorstände nicht im Traum darauf kommen, sich ihre Millionengehälter vorübergehend zu kürzen, Fußballvereine gerettet, während man den ganzen Sommer nichts tut, um Schulen wenigstens mal mit Fenstern auszustatten, die man auch öffnen kann. Die Liste ist lang. Terror, Pandemie, sich selbst vernichtende Demokratien wie gerade ich USA, ein in sich nach wie vor völlig uneiniges Europa. Die Kacke ist nicht am Dampfen, die Kacke fliegt uns in Kürze voll um die Ohren.

Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, nein zu sagen, zu all dieser Scheiße. Denn noch gilt das alte Sprichwort, das wir hier in Bayern so lieben: 

Wer zahlt, schafft an. 

Und noch sind wir es, Sie und ich, die den ganzen Mist bezahlen.

STURM – Teil VI / Leseprobe

Veröffentlicht: 1. Oktober 2014 in STURM
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Da ich sie immer noch für eine Einheimische halte, will ich sie auf keinen Fall mit zu mir nach Hause nehmen, und so fahre ich einfach in Richtung Ort. Sie sieht mich von der Seite an und sagt: »Ich kann so nicht zu mir«, und sie schaut dabei so verloren, dass es mir plötzlich egal ist, und ich wende und fahre auf der fast überfluteten Straße zurück und vorbei am Strand, wo wir gerade waren, in Richtung zu meinem Haus. Ich wohne sehr weit außerhalb und einen Moment ist sie etwas skeptisch, ob ich ich nicht einfach mit ihr irgendwohin fahre, aber als ich auf dem Vorplatz parke, entspannt sie sich und steigt mit mir aus. Wir sind völlig eingesaut mit Sand und Schlamm, und als ich den Schlüssel aus seinem Versteck nehme und mich zu ihr umdrehe, hat sie bereits ihre nassen Sachen auf dem Stuhl auf der Veranda ausgebreitet und folgt mir dann zögernd nach drinnen. Sie sieht sich interessiert um und dann zieht sie ihr T-Shirt über den Kopf und wirft es achtlos in eine Ecke und fragt mich, ob sie duschen darf.
Während ich oben das Wasser rauschen höre, schenke ich mir ein Glas Rum ein und zünde mir eine Zigarette an. Der Sand in meiner Hose beginnt zu jucken und ich streife die Jeans ab und werfe sie zu ihrem T-Shirt auf den Boden.
Sie duscht lange und als sie endlich wieder nach unten kommt, hat sie sich in ein Handtuch gewickelt und ist kein bisschen erstaunt, dass ich nackt im Wohnzimmer stehe.
Ich habe das Glas nochmal aufgefüllt und drücke es ihr in die Hand, genauso wie die gerade erst angezündete Zigarette und gehe nach oben, um auch zu duschen.
Ich dusche noch länger als sie und verfluche mich, dass ich ihr das Glas gegeben habe, statt es mit ins Bad zu nehmen, und als ich lange genug getrödelt habe, höre ich plötzlich das Geräusch eines Feuerzeugs im Schlafzimmer nebenan und dort steht sie am Fenster – völlig nackt. Der Regen hat aufgehört und die Sonne scheint wieder und der Rum im Glas, das sie mit nach oben genommen hat, glitzert goldfarben im Sonnenlicht und wirft bezaubernde Farbsprenkel auf ihre braune Haut. Sie steht mit dem Rücken zu mir und schaut aus dem Fenster auf das Meer und obwohl ich es nicht sehen kann, weiß ich, dass sie gerade wieder diesen Schmerz in den Augen hat, und ich räuspere mich kurz, damit sie nicht erschrickt und trete von hinten an sie heran und schließe meine Arme um sie und halte sie einfach fest.
Wir stehen lange so und als ich beginne, mich zu wundern, warum es mich nicht erregt, sie so eng zu halten, nackt, bewegt sie ihre Hüften leicht und augenblicklich explodiert mein Penis und wird so hart, dass ich es nicht vor ihr verbergen kann. Sie kreist weiter mit ihrem Po und scheinbar hat sie darauf gewartet, denn sie ist so feucht, dass ich plötzlich, ohne es zu planen, in sie hineinrutsche, ganz tief, und sie klammert sich an mir fest und stöhnt leise.
Ich drehe mich mit ihr um und bleibe dabei in ihr und schiebe sie in Richtung Bett und sie kniet sich darauf und ich beginne mich in ihr zu bewegen, langsam erst, und während ich das tue, frage ich mich wieder, was dieses Tattoo zu bedeuten hat, auf ihrem Rücken, das so gar nicht zu ihr passt.

Später liegen wir auf dem Bett und sprechen kaum, ich habe die Flasche Rum nach oben geholt und wir trinken und rauchen, und immer wenn sich dieser Schmerz in ihre Augen legt, halte ich sie, ganz fest, und wiege sie leicht hin und her, bis die Anspannung wieder aus ihr weicht.

Als ich aufwache, ist es schon hell und ich bin ganz benommen, und auf dem Boden steht die Flasche Rum, leer, und der Aschenbecher ist so voll, dass einige Kippen danebengefallen sind. Ich schaue mich im Zimmer um und sie ist nicht da, und ich bin froh, dass ich alleine bin und wanke ins Bad, um zu duschen. In der Nacht ist der Regen zurückgekommen und das Meer ist grün und unruhig und ich werde die nächsten Tage nicht an den Strand können. Als ich aus dem Bad komme, rieche ich Kaffee, und als ich gerade überlege, ob ich mir das nur einbilde, höre ich Geschirr klappern und das bedeutet, sie ist nicht gegangen, wie all die anderen, die genau gemerkt haben, dass es mir lieber ist, wenn man sich nie mehr sieht, und die verschwunden sind, nachts, heimlich, leise – manchmal sicher mit ein paar Tränen.

Ich atme tief durch und gehe die Treppe nach unten, und sie sitzt am Tisch und hat ein T-Shirt von mir an und ein Bein hochgestellt, auf den Stuhl, und eine große Kaffeetasse in der Hand, aus der es dampft, und eine Zigarette glimmt im Aschenbecher, und als sie mich sieht, lächelt sie scheu

STURM erscheint 2016 als Roman. Für Updates folgen Sie mir bitte auf Twitter: @PeeterCavendish