Der Regen peitscht mir ins Gesicht, als ich meine tägliche Pflichtrunde am Strand gehe und meine Augen sind so voll Wasser, dass alles hinter einem grauen Schleier verschwindet. Wie immer, ist der alte Mann an der Mole und hält stoisch seine Angel ins Meer und wirkt, als sei er eingeschlafen. Der Sand ist nur noch Matsch und ich sinke bei jedem Schritt so tief ein, dass ich Mühe habe, vorwärts zu kommen. Die Treibholzfelder sind endlos und ich klettere über große Stämme und versuche, nicht auf die vielen toten Fische zu treten, die überall angespült liegen. Ein riesige Ratte liegt mit zerfetztem Körper inmitten der Kadaver und starrt mich aus milchigen Augen an und mir wird immer kälter und für einen Moment verliere ich den Halt und bekomme Panik, weil ich denke, in den Haufen Fische zu stolpern, und ich habe endlich genug und verlasse den Strand in Richtung Straße.
Der Wind bläst eiskalt durch die Häuserzeilen und treibt Laub und Abfall vor sich her. Ich versuche, mich ganz in meiner Jacke zu verkriechen, und halte mich dicht an den Hauswänden, die so vermoost sind und so modrig riechen, dass ich wieder an die tote Ratte denken muss. Die meisten Geschäfte haben im Winter ihre Schaufenster mit Brettern vernagelt und ich denke einen Moment, ich bin in einem falschen Ort gelandet und finde nicht mehr zurück.
Die Dämmerung kommt schlagartig, wie üblich je weiter südlich man sich befindet, und der Wind nimmt wieder zu und wird wohl in dieser Nacht einen weiteren Sturm gebären.
Die Bar, die am Ende der Straße, dort wo die Piazza beginnt, auftaucht, ist nur schwach beleuchtet und im Dunst des aufkommenden Abends umgibt sie ein Schein wie in Milch getauchten Lichts.
Ich werfe mich gegen die Türe und zwänge mich durch den kleinen Spalt ins Innere. Die wenigen Gäste blicken nur kurz auf und sehen dann wieder in ihre Getränke und Zeitungen. Der Wirt hat die Räume so überheizt, dass mir kurz übel wird und ich hastig den Reißverschluss meiner Jacke öffne und mir die Mütze vom Kopf reiße.
Ich bestelle Espresso und Grappa und als der Alkohol durch mich fließt und das Koffein die Nebel vor meinen Augen zerreißt, denke ich, dass das gut ist und bestelle eine weitere Runde. Hier in diesem abgelegenen Kaff schert sich niemand um Verbote und der Wirt stellt mir sofort wortlos einen Aschenbecher hin, als ich mir die erste Zigarette anzünde. Der erste Donner kommt fast gleichzeitig mit dem Blitz und lässt die Flaschen und Gläser auf der Bar zittern und der schlagartig einsetzende Regen peitscht so ans Fenster, dass ich beschließe, noch zu bleiben. Ich bestelle einen halben Liter Rotwein und bekomme einen Krug aus Ton, in dem der Wein dunkelrot wie dickes Blut schimmert, und während ich in das Farbenspiel starre, geht wieder die Tür auf und ein Schwall Wasser und kalte Luft quellen in den Raum, und als ich aufsehe, steht sie plötzlich im Raum und blickt sich unsicher um und ihre Haare hängen nass in ihr Gesicht und ihre Lippen sind blau vor Kälte und etwas Wasser läuft über ihre Wange. Sie sieht mich und das Blut schießt ihr ins Gesicht und färbt ihre Backen sofort knallrot ein, und sie lächelt etwas verlegen, und ich starre sie fasziniert an und sie kommt auf meinen Tisch zu.
STURM erscheint 2016 als Roman. Für Updates folgen Sie mir bitte auf Twitter: @PeeterCavendish